Der Kerzenständer ist ein seltenes und herausragendes Beispiel für die englischen Metallarbeiten im frühen 12. Jahrhundert. Es weist mit seinem dreieckigen Sockel und auch sonst Ähnlichkeiten zu einem früheren Paar Kerzenhalter auf, das einst für den deutschen Bischof Bernward von Hildesheim im selben Wachsausschmelzverfahren hergestellt wurde. Daher wird vermutet, dass die Kunsthandwerker von ottonischen Vorbildern inspiriert worden sein könnten.
Während der Urheber des Kerzenständers unklar bleibt, besagt eine Inschrift am Schaft, dass er der Kirche St. Peter, der heutigen Kathedrale von Gloucester, von Abt Peter, der dieses Amt von 1107–13 innehatte, als Geschenk überreicht wurde. Doch bald nach einem Brand 1122 gelangte der Kerzenständer – vermutlich durch Plünderungen – an die Kathedrale von Le Mans. Dies besagen später hinzugefügte Inschriften um den inneren Rand der Auffangwanne. In Le Mans verblieb er bis zur Französischen Revolution und verschwand abermals. Im 19. Jahrhundert verkaufte ein örtliches Antiquariat diesen Kerzenständer an den Sammler Prinz Saltykov, aus dessen Sammlung das Victoria and Albert Museum (V&A) ihn schließlich erwarb. Das V&A Museum beherbergt heute einer der umfangreichsten Sammlungen von Kunstgewerbe und Design der Welt.
Doch bislang konnte der Gloucester-Kerzenständer nicht in seine eigentliche Heimat zurückkehren – in die Kathedrale von Gloucester. Celia Thomson, Domkanzlerin der Kathedrale von Gloucester erinnert sich: „Als ich zum ersten Mal hierherkam, träumte ich davon, den Gloucester-Kerzenständer wieder in unserer Kathedrale aufstellen zu können und zwar besser als nur auf einem Foto. Aber ich dachte, es sei nur ein Hirngespinst“. Mit der Zusammenarbeit von Renishaw und dem V&A Museum wurde schließlich die Idee einer Nachbildung des Kerzenständers mithilfe der additive Fertigungstechnologie auf Metallbasis ins Leben gerufen.
3D-Laserscanner erfasst komplexe und fantastische Geometrie
Zunächst wurde ein 3D-Laserscanner verwendet, um die komplexe Geometrie des Original-Kerzenständers mit seinen dicht verschlungenen Blättern und fantastischen Kreaturen zu erfassen und eine exakte digitale Reproduktion zu ermöglichen. Ein langwieriger Prozess, wie Dr. Amelia Knowlson, Expertin für die Digitalisierung von Artefakten, erläutert: „Der schwierigste Teil war die Ausrichtung von über 40 Abschnitten; jede Punktwolke musste perfekt ausgerichtet und in einem 3D-Scan gerendert werden. Dies war ein langwieriger Prozess mit mehreren Referenzbildern, um sicherzustellen, dass die automatische und manuelle Ausrichtung korrekt war.“
Der Kerzenständer wurde beim Scan in seine drei Abschnitte aufgeteilt, und jeder Abschnitt wurde in Segmenten gescannt, um sicherzustellen, dass die gesamte Oberfläche des Kerzenhalters erfasst wurde. „Das Scannen eines so komplizierten und wertvollen Objekts wie dieses ist ein schwieriges Gleichgewicht zwischen dem Bewegen der Kerzenhalterabschnitte in verschiedene Positionen, um optimale Ergebnisse zu erzielen und der Gewährleistung, dass der Kerzenhalter sicher ist und nicht beschädigt wird“, ergänzt Knowlson, unteranderem auch Lehrbeauftragte an der University of Leeds und Gründerin von „Curator, Designer, Maker“ – einem kreativen Unternehmen, das sich auf das 3D-Scannen von Kulturerbe-Artefakten spezialisiert hat.
Vier 500-Watt-Hochleistungslaser bringen das Aluminiumpulver in Form
Anhand des so gewonnen Datensatzes generierte Renishaw den Gloucester-Kerzenständer dann durch schichtweisen Aufbau aus Aluminiumpulver nach. Hierzu wurde ein RenAM 500Q Multilaser-AM-System von Renishaw eingesetzt. Es verfügt über vier 500-Watt-Hochleistungslaser, die alle gleichzeitig Zugang zur gesamten Pulverbettoberfläche haben. Die RenAM 500Q erreicht dadurch eine deutlich höhere Baugeschwindigkeit, mit einer erheblich besseren Produktivität. Zudem verfügt die RenAM 500Q über eine automatische Pulverhandhabungseinrichtung, die einen durchgängigen Bauprozess ermöglicht, die Bedienzeit reduziert und einen hohen Grad an Systemsicherheit gewährleistet.
„Aufgrund seiner Komplexität lässt sich der Gloucester-Kerzenständer nur mithilfe von additiver Fertigung nachbilden“, bestätigt Paul Govan, Customer Training Manager bei Renishaw und Hauptbetreuer dieses Projekts. Die Materialauswahl spielte dabei eine Schlüsselrolle im Herstellungsprozess, und anfängliche Pläne zur Verwendung von Titanmodellen wurden zugunsten besser formbarer Aluminiumpulver aufgegeben. „Durch den Wechsel von Titan- zu Aluminiumpulvern konnten die Ingenieure von Renishaw den Kerzenständer leichter reinigen und endbearbeiten, um eine größere Detailgenauigkeit zu erzielen“, erklärt Paul Govan. Passenderweise ist gerade die Materialauswahl einer der Aspekte, die den Original-Gloucester-Kerzenständer so besonders macht, da er aus einer Messinglegierung mit ungewöhnlich hohem Silbergehalt gegossen ist.
Ein spektakuläres Stück lokaler Geschichte kommt zurück
Dank des 3D-Druckverfahrens können nun die Besucher der Kathedrale ein spektakuläres Stück lokaler Geschichte erleben. Auch der britische Fernsehsender BBC würdigte das einzigartige Projekt kürzlich mit einem Fernsehbeitrag. Renishaws Einsatz modernster AM-Technologie zur Nachbildung dieses englischen Meisterwerks aus dem 12. Jahrhundert beweist, welches Potenzial dieses Fertigungsverfahren in Bezug auf die Erfassung und Nachbildung aufwendig gearbeiteter historischer Schätze und Antiquitäten hat. Auch wenn der echte Original-Kerzenständer nicht nach Gloucester zurückgekehrt ist, sieht Domkanzlerin Celia Thomson dennoch ihren Traum erfüllt: „Dank der modernen Technologie haben wir jetzt diese wunderbare Nachbildung. Und Sie können all die wunderbaren Details in ihrer ganzen Pracht sehen“
Renishaw GmbH
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