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Plattenspieler: Besserer Klang dank 3D-Druck

ARS Machinae M1 mit schwingungsdämpfender Plattenklemme optimiert
Plattenspieler: Besserer Klang dank 3D-Druck

Kann man heutzutage noch Innovationen bei einem Produkt erwarten, das bereits 1880 entwickelt wurde? Ja, wenn modernste Technologien mit viel Kreativität und interdisziplinären Fachwissen gepaart werden. So wurde eine Komponente des Plattenspielers ARS Machinae M1 in interdisziplinärer Teamarbeit zwischen Unternehmern und Universität entwickelt und die additive Fertigung eingesetzt, um eine optimale Klangqualität zu erzielen.

Ein hochwertiger Plattenspieler zeichnet sich vor allem durch seine Klangqualität aus. Ein signifikanter Einfluss auf die Klangqualität kommt dabei dem Schwingungsverhalten der einzelnen Bauteile zu. Im Abtastsystem werden die mechanischen Schwingungen der Nadel, die die Rillen der Schallplatte abfährt, in elektrische Signale gewandelt. Da jede Schwingung des Plattenspielers zur Schwingung der Nadel addiert wird, sind die unerwünschten aber bauseitig nicht vollständig eliminierbaren Bauteilschwingungen als Störsignale während der Musikwiedergabe hörbar.

Die Plattenklemme hat beim Plattenspieler die Aufgabe die Schallplatte auf den Plattenteller zu drücken, um eine vollflächige Anlage auch bei leicht verzogenen Platten zu gewährleisten. Eine der Herausforderungen bei der Entwicklung des Plattenspielers war es, die Plattenklemme in Form und Struktur so weiterzuentwickeln, dass diese nach einer Anregung eine kurze Schwingungsdauer und geringe Schwingungsamplituden aufweist, um so die Entstehung von Störsignalen zu reduzieren.

Um das Schwingungsverhalten von Bauteilen zu evaluieren, können mittels der Finite-Elemente-Methode (FEM) Frequenzganganalysen durchgeführt werden, die als Ergebnis Schwingungskurven ausgeben. Hieraus lässt sich ablesen, bei welcher Frequenz die höchste Schwingungsamplitude auftritt. Auf diese Spitzen der Schwingungsamplitude kann Einfluss genommen werden, indem die Bauteileigenschaften, die das Schwingungsverhalten bestimmen, gezielt definiert werden. Dabei sind die Einflussgrößen Masse (m) Steifigkeit (c) und Dämpfungsgrad (d) des Bauteils entscheidend. Wie in Abbildung 2 zu sehen, kann durch die Variation dieser Einflussgrößen das Schwingungsverhalten der Bauteile entsprechend beeinflusst werden.

Die Variation dieser Einflussgrößen ist durch die konstruktive Gestaltung der Plattenklemme beeinflussbar. Hier bieten additive Fertigungsverfahren mehr Spielraum bei der konstruktiven Auslegung der Plattenklemme als subtraktive oder formative Fertigungsverfahren. Dadurch lassen sich mit der Nutzung der additiven Fertigung bessere Klangergebnisse erzielen.

Funktionsintegrierter Partikeldämpfer
mittels additiver Fertigung

Die additive Fertigung bietet durch ihre hohe geometrisch-konstruktive Freiheit die Möglichkeit, die genannten Einflussgrößen durch eine geeignete Konstruktion so anzupassen, dass das Schwingungsverhalten der Komponenten positiv beeinflusst wird. Weiterhin können Hohlräume und komplexe innere Strukturen mit Hinterschnitten in der Bauteilgeometrie realisiert werden, wodurch die Umsetzung von Leichtbaustrukturen möglich ist. Daher erfolgte die Optimierung der Konstruktion der Plattenklemme unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheiten und -prinzipien der additiven Fertigung. Durch diesen frühzeitigen Paradigmenwechsel in der Konstruktion können die Potentiale der additiven Fertigung für die Optimierung des Schwingungsverhaltens genutzt werden.

Für die Optimierung der Plattenklemme werden zwei der drei Einflussgrößen Masse, Steifigkeit und Dämpfungsgrad des Systems gezielt angepasst. Zum einen wird durch die Realisierung des Leichtbauprinzips die Masse durch Einbringung eines Hohlraums und innerer Strukturen reduziert, ohne dabei die Steifigkeit zu negativ zu beeinflussen. Zum anderen wird der Dämpfungsgrad erhöht, indem ein Partikeldämpfer in das Primärsystem integriert wird, ohne die Außengeometrie zu verändern. Somit repräsentiert die Plattenklemme das Primärsystem, das durch die Partikel im Hohlraum (Sekundärsystem) beeinflusst wird (vgl. Abbildung 3).

Die durch die Musikwiedergabe verursachten Schwingungen der Plattenklemme übertragen Energie auf die Pulverpartikel im Inneren der Plattenklemme. Durch Reib- und Stoßvorgänge zwischen den Pulverpartikeln und den Pulverpartikel-Wandkontakten wird die Energie aus der Bewegung der Pulverpartikel in Form von Wärme abgeführt. Durch diesen physikalischen Effekt können die Schwingungsamplitude und -dauer der Plattenklemme reduziert sowie der Dämpfungsgrad erhöht werden.

Für die Konstruktion der Plattenklemme mit verbessertem Schwingungsverhalten sowie deren Evaluation werden verschiedene Werkzeuge der virtuellen Produktentwicklung angewandt. Zum einen erfolgt die simulative Untersuchung des Einflusses des Primärsystems basierend auf der Finite-Elemente-Methode (FEM) in Form einer Modalanalyse durch Aufzeigen des Schwingungsverhaltens. Zum anderen wird der Einfluss des Sekundärsystems auf das Primärsystem durch die Diskrete-Elemente-Methode ermittelt.

Die leichtbauoptimierte und funktionsintegrierte Geometrie der Plattenklemme bedingt den Einsatz der additiven Fertigung. Subtraktive oder formative Fertigungsverfahren können aufgrund deren Fertigungsrestriktionen nicht eingesetzt werden. Daher wird die schwingungsoptimierte Plattenklemme durch das additive Fertigungsverfahren des selektiven Laserstrahlschmelzens schichtweise aus einem hochfeinen Metallpulver gefertigt (vgl. Abbildung 4). Bei diesem pulverbettbasierendem additiven Fertigungsverfahren kann das fertigungsbedingt in den Hohlräumen der Bauteile verbleibende Restpulver direkt als angestrebter und damit funktionsintegrierter Partikeldämpfer genutzt werden.

Störgeräusche sind nur noch halb so laut

Der Einfluss des Partikeldämpfers (Sekundärsystem) auf das Primärsystem wird durch die Ermittlung des Dämpfungsgrades durch eine -Analyse basierend auf der Diskreten-Elemente-Methode (DEM) ermittelt. Dabei wird die Dämpfungswirkung durch die Schwingungskurven der translatorischen Geschwindigkeit über die Zeit visualisiert und der Dämpfungsgrad über die Auswertung des Kurvenverlaufs unter Anwendung des logarithmischen Dekrements ermittelt. Hierbei konnte ein optimaler Füllgrad von 100 % unter Berücksichtigung der Schüttdichte festgestellt werden (vgl. Abbildung 5).

Der Dämpfungsgrad, der aus der DEM-Analyse abgeleitet wird, wird den Parametern der Modalanalyse (FEM) zugeführt und im Kurvenverlauf des abgestrahlten Schallpegels visualisiert.

In Abbildung 6 ist zu erkennen, dass sich der maximale abgestrahlte Schallpegel durch die Einbringung des Hohlraums ohne innere Strukturen zunächst erhöht, wodurch insgesamt die Klangqualität reduziert wird (Strichpunktlinie). Die Einbringung innerer Strukturen und die Integration des im Hohlraum verbleibenden Restpulvers als Partikeldämpfer (Punktlinie) bewirkt dagegen eine Verbesserung der Klangqualität gegenüber der Plattenklemme aus Vollmaterial. Dies ist bei der Betrachtung des Gesamtsystems aus der Kombination von Leichtbau und Funktionsintegration durch eine deutliche Verbesserung des Schwingungsverhaltens zu erkennen. So konnte durch die leichtbauoptimierte und funktionsintegrierte Plattenklemme der maximale abgestrahlte Schallpegel von 63dB auf 53dB reduziert werden. Dies entspricht einer Reduktion der wahrgenommenen Lautstärke der Störgeräusche um den Faktor 2.

Die Prinzipien des Leichtbaus und der Funktionsintegration eines Partikeldämpfers lassen sich ebenfalls auf andere Industrieanwendungen außerhalb der Musikwiedergabe anwenden. So kann die Kombination aus Leichtbau und Partikeldämpfer störende Vibrationen in Motoren verhindern, erregte Schwingungen von Werkzeugmaschen reduzieren und im Bereich der Entwicklung von Zerspanungswerkzeugen eingesetzt werden. Dabei können zum einen Hohlräume durch den schichtweisen Aufbau der additiven Fertigung realisiert werden und zum anderen die Funktionsintegration eines Partikeldämpfers im Fertigungsprozess erfolgen.

Universität Bayreuth
Lehrstuhl Umweltgerechte Produktionstechnik
www.lup.uni-bayreuth.de

Mitglied des Campus Additive.Innovationen (CA.I)
https://additive-innovationen.de


Die Autoren

Andreas Hofmann und Johann Schorzmann, beide von der Universität Bayreuth, Lehrstuhl Umweltgerechte Produktionstechnik.

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